STADE. Einige Menschen sammeln Briefmarken, bei Max Schleth aus Wedel und seinen Freunden sind es Fußballplätze. Sie sind Groundhopper: Ihnen geht es darum, möglichst viele Spiele auf möglichst vielen Plätzen zu besuchen. Dieses Mal: VfL Güldenstern Stade.

Vier Groundhopper aus Hamburg und Schleswig-Holstein zu Besuch in Stade-Ottenbeck (von links): Milan Schrank, Thorsten Witte, Max Schleth und Erwin Jaskotka. Foto: Struwe

Max Schleth lässt seinen Blick wenige Sekunden über die Sportanlage am Ottenbecker Damm wandern, bevor er eine Schätzung abgibt: „Das sind mit Sicherheit 120 Zuschauer“, sagt er. Erwin Jaskotka nickt: „Nicht schlecht.“ Jaskotka hat genau 130 Zuschauer gezählt, mit Stift und Zettel war er losgezogen, eine Runde um den Platz. Wobei sich Jaskotka jetzt fragt: „Habe ich uns eigentlich mitgezählt?“

Schleth und Jaskotka stehen zusammen mit Milan Schrank und Thorsten Witte auf einer Tribünenstufe nahe der Eckfahne und rauchen Zigaretten. Sie sind weder Anhänger des VfL Güldenstern noch des Rotenburger SV. Sie gehen einem Hobby nach, das sie auf tausende Fußballplätze geführt hat: Sie sind Groundhopper, also Menschen, die teilweise ihr Leben dem Ziel unterordnen, möglichst viele Spiele auf möglichst vielen Plätzen zu besuchen. Und dazu gehört auch, die Zuschauer zu zählen.

Diese Zahl tragen die Groundhopper in ihre Bücher, Excel-Tabellen und Apps ein, in denen sie ihre bereits besuchten Fußballplätze festhalten. Schleth kommt bis heute auf mehr als 2000 „Grounds“ im In- und Ausland, darunter Plätze auf Helgoland, im Hamburger Gefängnis Santa Fu und mehrere im Landkreis Stade. „Das habe ich nicht geahnt, als mein Vater mich das erste Mal mit ins Volksparkstadion genommen hat.“ Damals, vor mehr als 40 Jahren, sah er, wie sein HSV mit 0:2 gegen den FC St. Pauli verlor.

Heute ist Schleth 50 und Techniker im Schichtdienst. Ein Mann mit schwarzer Cap, der sich vor einigen Jahren dem HSV abgewandt hat, nachdem dieser seine Lizenzspielerabteilung in eine AG ausgegliedert hat. Seitdem steht Schleth dem Profifußball kritisch gegenüber. Bei den Amateuren, sagt er, werde dagegen noch der ursprüngliche Fußball gespielt. „Hier gibt es auch keine Überkandidelten wie in den großen Arenen.“

Groundhopper haben feste Regeln

Die Mannschaften laufen ein. Schleth zeichnet das mit seiner Smartphone-Kamera auf. „Es ist wichtig, ein Foto vom Einlaufen zu haben“, sagt er. Und nicht nur das: Schleth versucht, bei seinen Besuchen auf den Fußballplätzen Anstecker der Vereine zu ergattern. Beim VfL Güldenstern klappt das, weil Fotograf Jörg Struwe Anstecknadeln und Wimpel des VfL Stade aus Vor-Fusions-Zeiten ausgegraben hat, als der Verein noch auf dem Horst-Sportplatz spielte. „Was kriegst du dafür?“, fragt Schleth. Geschenkt!

Nachdem Schleth alle, etwa 250, Fußballplätze in Hamburg „gesammelt“ hat, ist er vor allem in Schleswig-Holstein, den ostdeutschen Ländern und Niedersachsen unterwegs. Und damit auch in Stade. „Es hat gepasst“, sagt Schleth. Im Laufe der Woche studierte er die Spielpläne und stellte fest, dass der Platz in seiner Sammlung fehlt. Anders als die Camper Höhe, die er besuchte, als dort das letzte Derby zwischen dem VfL und der TuS Güldenstern Stade stattgefunden hat.

Stade liegt 0:1 hinten. Der Wind ist eisig, Schnee und Regen prasseln auf die Jacken der Groundhopper. Hinter ihnen auf dem Rasen toben Anna, 4, und Ella, 8, die Töchter von Milan Schrank, und werfen mit Moos. „Die Kleine hat schon über 100 Plätze gesehen“, sagt Schrank, Busfahrer aus Hamburg. Seine Frau dankt es ihm: „Durch ihre Schicht ist sie froh, wenn wir weg sind und sie etwas Ruhe hat.“ Er lacht, die anderen auch.

Immenbeck hat ein „malerisches Stadion“

Die Groundhopper sind lose organisiert, die Szene ist unübersichtlich. Schleth und seine Freunde nutzen WhatsApp- und Facebook-Gruppen, in denen sie zusammenfinden und sich verabreden. Wenn sie Spiele aussuchen, orientieren sie sich an einigen Kriterien: So zählen nur Herrenspiele, die auf einem Rasenplatz ausgetragen werden. „Von Kunstrasen“, sagt Schleth, „sind wir nicht begeistert.“

Zur Pause steht es 1:1. Schleth verschwindet im Gewusel vor der Wurstbude, vertilgt eine Krakauer und kehrt mit einer Flasche Pils in der Hand zurück. Ihm gefalle die Anlage, sagt er. Vor allem ältere Stadien mit Stehtraversen und Sitzplätzen haben es ihm angetan, und dazu im Wald oder einer Senke gelegene. So wie die Brune Naht in Immenbeck, wo Schleth vor anderthalb Jahren zu Gast war. „Ein malerisches Stadion.“

Erwin Jaskotka, einst Hafenarbeiter, heute Rentner, mischt in einem Kaffeebecher einen Energydrink mit Wodka. „Schmeckt ganz gut“, sagt er mit hanseatischem Zungenschlag. Er schnackt über dies und das: seine mehrere Koffer umfassende Münzensammlung, Tim Wieses rosafarbenes Torwarttrikot und seinen 949. Besuch vor kurzem im Volksparkstadion. Es war die späte 1:2-Niederlage des HSV gegen Magdeburg. Prompt in diesem Moment kassieren auch die Stader das 1:2. „Ohh, schönes Tor“, sagt Jaskotka.

In der 65. Minute ist Schleths Bier leer, da fällt das 2:2. „Das wäre ein gutes Ergebnis für Stade“, sagt er und schaut auf die Uhr: „Noch Zeit für eine Bierlänge.“ Er verschwindet vor der Wurstbude.

Eine Maxime der Groundhopper ist es, die Spiele über 90 Minuten zu verfolgen. Milan Schrank und seine Töchter haben sich einige Minuten vor dem Ende auf den Weg zum Bahnhof gemacht. Bleiben Max Schleth, Erwin Jaskotka und Thorsten Witte. „Was macht ihr eigentlich Gründonnerstag“, fragt Jaskotka. „Ich muss arbeiten“, sagt Schleth. Am Freitag geht das Sammeln weiter: erst Tasmania Berlin, dann OSV Hannover, SC Parchim am Ostersonntag und tags drauf Eintracht Northeim.

Quelle: Stader Tageblatt /FuPa Stade

Autor: Tim Scholz

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