Die ehrwürdige Stader Horst gehört bis zum Jahr 2001 neben der noch existierenden Anlage Camper Höhe zu den beiden traditionellen Sportstätten der Stadt Stade. Zuvor ist auf dem Gelände die ehemalige Brunsbütteler Land- und Ziegeleigesellschaft beheimatet. Als diese 1921 in Konkurs geht, machen sich die Verantwortlichen im Stader Rat sofort Gedanken über eine künftige Nutzung. Verhandlungen mit dem 1850 gegründeten Männerturnverein (MTV) Stade, einem Vorläufer des heutigen Verein für Leibesübungen (VfL) Stade, führen zu einem positiven Ergebnis. Von Dieter Albrecht
Im Mai 1922 ist Baubeginn. Zwei Sportplätze werden errichtet, die auch den Schulen zur Verfügung stehen. Turnen und Leichtathletik stehen im Vordergrund. Fußball wird auch gespielt, zumeist auf Platz zwei, denn auf dem oberen Platz eins befindet sich unter der dünnen Grasnarbe noch roter Lehmboden. Erst 1949 sorgt eine Drainage dafür, dass die Spielfläche dauerhaft nutzbar ist. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wird der an der Schwinge gelegene Platz zwei bei einem Luftangriff auf Hamburg durch mehrere Bombentreffer zerstört. Nach der kurz darauf erfolgten Kapitulation beschlagnahmen die Engländer als Besatzungsmacht die gesamte Anlage.
Am 20. September 1945 kommt es zur Gründung des Vereins für Leibesübungen von 1850 e.V. Stade. Der Vereinsführung gelingt es nach zähen Verhandlungen, ihr Eigentum von den Engländern zurückzuerhalten, um den Sportbetrieb wieder aufzunehmen. Zahlreiche Vereinsmitglieder krempeln mit großem Idealismus die Ärmel hoch und beginnen damit, zuerst einmal die Kriegsschäden zu beseitigen. Die nicht mehr nutzbare Aschenbahn muss komplett erneuert werden.
Bald darauf rüstet der VfL zum 100-jährigen Vereinsjubiläum. Die Schaffung besserer Umkleidemöglichkeiten ist dringend notwendig. Eine kleine Baracke direkt an der Schwinge gelegen, wird um vier Umkleideräume erweitert, dazu ein Kassenhäuschen aus Holz am Eingang Jahnstraße errichtet. Zum Waschen müssen sich die Sportler aus Eimern oder Schüsseln kaltes Wasser aus der Schwinge holen. Die sanitären Einrichtungen sind ohnehin völlig unzureichend.1954 wird die Neuplanung der vereinseigenen Sportanlage eingeleitet. Neben Zuschüssen der Stadt Stade, des Landkreises, der Bezirksregierung und des Kreissportbundes, ist der VfL auf Geld- und Sachspenden angewiesen. Zumeist in Eigenleistung werden ein Umkleidehaus mit Toiletten, ein Dusch- und Waschraum, Umkleideräume und ein kleines Geschäftszimmer erstellt. Stader Baufirmen beauftragen ihre Lehrlinge damit, den Dachstuhl zu bauen. Ein zweites Projekt von weit größerem Ausmaß ist die Erneuerung des oberen Hauptplatzes, der neu eingesät werden muss, der Laufbahn und Faustballplätze.
Auf der Stader Horst entsteht jetzt eine Anlage mit sechs Rundbahnen auf einer standardmäßigen 400-Meter-Laufbahn. Das I-Tüpfelchen der Baumaßnahmen ist 1957 die Errichtung des Horst-Casino, finanziert durch einen ungenannt bleibenden Stader Geschäftsmann. Direkt daneben entsteht an der Horststraße ein zweiter Eingang zur Anlage. Am 10.August 1958 präsentiert sich der VfL Stade als größter Stader Sportverein mit etwa 700 Aktiven und einem Querschnitt durch das Vereinsleben der Öffentlichkeit.
Der starke Mitgliederzuwachs, vor allem bei den Leichtathleten, veranlassen den Vorstand zu Überlegungen, weitere Sportflächen zu erschließen. 1969 nähert sich der wachsende Verein bereits der Marke von 3000 Mitgliedern. Der VfL erwirbt zusätzlich das Gebiet jenseits der Schwinge zwischen Flussverlauf und Bahndamm zur Nutzung. Dabei gibt es ein Hindernis, denn der Fluss trennt den Bereich vom zweiten Sportplatz. Das macht den Bau einer Brücke zwingend notwendig.
Es erweist sich als Glücksfall, dass Stade eine Garnisonsstadt ist. Soldaten des Pionierbataillons 3 aus der von-Goeben-Kaserne erstellen einen festen Übergang aus Holz. 1970 kann mit dem Bau eines Rasenfeldes auf der gegenüberliegenden Seite begonnen werden, der zwei Jahre später den Aktiven zur Verfügung steht. Davon profitieren neben den Leichtathleten für die Wurfsportarten, vor allem die Jugendfußballer als Trainings- und Wettkampffläche.
Zum 125-jährigen Vereinsjubiläum im Jahr 1975 soll die Sportanlage Horst aufgerüstet werden. Die Laufbahn wird als Kunststoffbahn vollkommen erneuert. Hinter Platz eins entsteht zusätzlich ein Kleinspielfeld. Mitte der Siebzigerjahre wird der rasanten Entwicklung des Vereins Rechnung getragen. Der Bau eines Vereinshauses mit Umkleideräumen, sanitären Einrichtungen, einem Jugendraum und Sitzungsraum ist eine Notwendigkeit, um den Anforderungen zu entsprechen.
Mit den Maßnahmen scheint die bauliche Entwicklung auf der Horst vorerst abgeschlossen zu sein. Weit gefehlt. Stillstand ist Rückgang, lautet die Devise beim VfL Stade. Die Gründung einer Tennisabteilung im Rahmen des Breitensportangebotes zwingt den Verein dazu, für diese Sparte entsprechende Sportflächen zu schaffen. Zwei neue Tennisplätze sorgen gleichzeitig dafür, den Mitgliederbestand weiter zu erhöhen. Auf der Anlage wird es zunehmend enger. 1988 entsteht ein neuer Eingang von der Horststraße, der mit dem Bau eines Ansage- und Kassenhauses verbunden ist.
Das Augenmerk wird fortan darauf gerichtet, Geschaffenes zu erhalten und auch zu pflegen. Aber der fortschreitende Verschleiß macht sich überall bemerkbar. Die in einem desolaten Zustand befindliche Rollschuhbahn, im hinteren Teil der Anlage gelegen, muss vollkommen erneuert werden, weil der Unterbau den Belastungen nicht mehr standhält. Das macht auch die Verkleinerung der Fläche notwendig. Indes erlebt der Fußball seine Glanzzeit. Zu den drei Aufstiegsspielen in die Oberliga Nord strömen 1990 insgesamt 7000 Besucher auf die Sportanlage. Die Stadtderbys gegen Güldenstern, dazu Spiele gegen die Bundesligisten Werder Bremen und Hamburger SV sorgen für großes Interesse.
An eine längst notwendig gewordene Vergrößerung der Stader Horst ist nicht zu denken. Das Gebiet rechts und links der Sportanlage ist eng bebaut. Da bleibt kein Platz für die notwendige Ausdehnung. Dann bekommt der VfL Stade Hilfe. Als im Zuge des Truppenabbaus bei der Bundeswehr die Stader Kaserne aufgegeben wird, erhält die Stadt Stade vom Bundesvermögensamt das Kaufangebot, ein großes Gelände zur Hälfte des Wertes, für gut 465000 Mark zu erwerben. Die Offerte ist mit einer knapp bemessenen Frist bis zum Jahresende 1999 verknüpft.
Sofort wird der VfL Stade von der Stadt kontaktiert, mit der Maßgabe sich schnell zu entscheiden. Es geht um die einmalige Möglichkeit, den Verein nach Ottenbeck umzusiedeln, die Stader Horst aufzugeben und das gesamte Gelände zu verkaufen. Das wiederum kann nur eine außerordentliche Mitgliederversammlung beschließen. Am 5. November 1999 fallen die Würfel im Forum des Stader Vincent-Lübeck-Gymnasiums.Pro und Kontra werden durch den stellvertretenden VfL-Vorsitzenden Frank Lau und Vereinsmitglied Hermann Krusemark vorgetragen. Lau spricht sich wegen der vom Verein nicht mehr zu stemmenden Kosten einer Totalsanierung der Sportanlage Horst für den Wechsel nach Ottenbeck aus. Seine Aussage, der Verein müsse jetzt die Flucht nach vorn antreten, stößt auf allgemeines Verständnis. Hinzu kommt die zunehmende Intoleranz einiger Anwohner, die sich über unzumutbare Lärmbelästigungen beklagen.
Krusemark ist aus den von ihm vorgetragenen Gründen dagegen. Er betont vor allem den Nachteil der Lage. Sein Einwand, Kindern sei die zu weite Entfernung aus der Innenstadt bis nach Stade-Süd nicht zuzumuten, stößt auf hörbare Skepsis der Anwesenden. Daraus entbrennt eine kontrovers und emotional geführte Diskussion. Alte VfLer sprechen von „Herzblut, das an der alten ehrwürdigen Horst“ hänge. Die Abstimmung fällt dann unerwartet deutlich aus. 199 der 237 stimmberechtigten Mitglieder, das sind knapp 84 Prozent, votieren für den Verkauf der Stader Horst. Aus der Situation des Vereins gesehen, ist es eine Entscheidung der Vernunft.
Auf der nicht mehr genutzten Sportanlage soll nun schnellstmöglich ein hochwertiges Wohngebiet in bester Lage zur Stader Innenstadt entstehen. Die Kreissparkasse Stade übernimmt als Investor den Verkauf der geplanten etwa 50 Bauplätze. Am 9. August 2001 wird der Vertrag unterschrieben. Der Erlös dient dem VfL Stade zur Finanzierung der Baumaßnahmen in Ottenbeck sowie der Erweiterung der ehemaligen Bundeswehr-Sporthalle. Die Vereinsführung betont dabei, dass die zur Verfügung stehenden etwa vier Millionen Euro ausreichen müssen, um keine Schulden zu machen. Mehrere geplante Vorhaben können deshalb nicht realisiert werden. Dazu gehören der Bau einer Tribüne auf dem Hauptplatz, die Flutlichtanlage für den Leichtathletikplatz und die Umwandlung vom bestehenden Grand- zu einem Kunstrasenplatz.
Bis zur Jahresmitte 2001 geht der sportliche Betrieb auf der Horst noch weiter. Den Schlusspunkt setzt das Punktspiel des VfL am 27. Mai gegen den TuS Woltersdorf. „Ein Abschied mit Wehmut“ titelt das TAGEBLATT. Als im August 2001 mit dem Abbau der Flutlichtmasten der Abriss beginnt, ist die Stader Horst endgültig Geschichte. Geblieben ist das Horst-Casino als ehemalige Vereinsgaststätte des VfL Stade, verbunden mit den Erinnerungen an große Meisterschaftsfeiern und anderen Festlichkeiten.
Quelle: FuPa/Stader Tageblatt | von Dieter Albrecht