Über seinen Jugendverein Hansa Rostock gelangt Fußballer Mario Radtke nach Stade.
Stade. Bis heute ist er ein besessener Fußballer geblieben: Der 1975 in Rostock geborene und in der DDR aufgewachsene Mario Radtke fand im Westen sein Glück – als Fußballer besonders bei Güldenstern Stade.
Die Wende vor 30 Jahren mit dem Fall der Mauer erlebt er als 14-Jähriger. „Ich habe das als Schüler zuerst gar nicht richtig wahrgenommen und kann mich jetzt kaum noch an Einzelheiten erinnern“, hakt Radtke das Ereignis ab. Bis zur A-Jugend kickt er beim FC Hansa Rostock, durchläuft alle Jugendorganisationen. Vom blauen Halstuch des Jungpioniers wechselt er als Thälmann-Pionier auf die Farbe Rot und wird ab der 9. Klasse Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ). 1993 baut Mario Radtke sein Abitur.
Er will den Westen kennenlernen und dort in das Berufsleben einsteigen. Dass es Stade wird, ist eher einem glücklichen Umstand zu verdanken. Güldenstern hat die Altliga von Hansa Rostock zum traditionellen Hallenturnier nach Stade eingeladen. Es kommt zum Kontakt zwischen dem TuS-Urgestein und späteren Vereinspräsidenten Manfred Drechsel mit Marios Vater Christian Radtke, einem langjährigen Hansa-Spieler in der DDR-Oberliga. Drechsel vermittelt dem Rostocker Jungen einen Ausbildungsplatz im kaufmännischen Bereich bei seinem Arbeitgeber, der Stader Firma Possehl, sorgt auch für die Unterkunft. „Ich habe Manni viel zu verdanken. Er hat sich sehr um mich gekümmert und mir das Leben in meiner neuen Heimat erleichtert“, sagt Radtke.
Güldenstern steigt 1993 als Meister der Bezirksoberliga Lüneburg in die Niedersachsenliga Ost auf. Ein optimaler Start. Der beidfüßig starke Mario Radtke ist ein Kämpfertyp, was im Zweikampfverhalten deutlich wird, agiert im defensiven rechten Mittelfeld oder als Sechser vor der Abwehr.
Als Güldenstern 1999 absteigen muss, wechselt er zum Lüneburger SK in die Regionalliga Nord. Deren legendärer Trainer Harry Pless hatte den Stader in einem Testspiel unter die Lupe genommen, will ihn unbedingt verpflichten. Radtke: „Ich musste mindestens dreimal in der Woche direkt von der Arbeit nach Lüneburg zur Sportanlage Wilschenbruch fahren. Das war schon stressig.“ Weitere Stationen sind danach der Hamburger Oberligist Eimsbütteler TV und Bergedorf 85 in der Oberliga Nord. „In Bergedorf war ich fünf Jahre, habe die zeitweisen Turbulenzen im Verein aber nicht miterlebt“, äußert sich Radtke.
Inzwischen 32 Jahre alt, kehrt er 2007 zur Camper Höhe zurück. Dort ist Martin König, mit dem er zuvor gemeinsam in der Liga-Elf gespielt hatte, inzwischen Cheftrainer geworden. Die Stader sind ein Jahr zuvor wieder in die Niedersachsenliga Ost aufgestiegen. Radtke blüht an alter Wirkungsstätte wieder voll auf und wird zum Führungsspieler. Trainer König ist voll des Lobes, beschreibt ihn so: „Mario ist ein absoluter Fußballversteher, kann Spiele lesen. Er wurde in der Jugend hervorragend ausgebildet, besitzt eine beidfüßig starke Schusstechnik.“ Radtke ist ein ruhiger Spieler, der einstecken muss, hin und wieder aber auch ordentlich hinlangt.
Unverkennbar geblieben ist seine Mecklenburger Mundart, „obwohl ich mich schon ganz gut an diese Region angepasst habe“, wie er sagt. Höhen und Tiefen bleiben nicht aus. Güldenstern muss 2010 als Tabellenzehnter in die Relegation, weil die Staffeln West und Ost zur eingleisigen Oberliga Niedersachsen vereinigt werden. Die Stader werden in einer Vierergruppe mit Arminia Hannover, Langenhagen und Schüttorf ungeschlagen Gruppenerster und bleiben in der höchsten Spielklasse. Die mit 20 Vereinen bestückte Oberliga Niedersachsen erweist sich jedoch als eine Nummer zu groß. Abgeschlagen als Tabellenletzter muss Güldenstern zurück in die Landesliga. Es soll noch schlimmer kommen. Wieder aufgrund der schlechteren Tordifferenz müssen die Stader runter in die Bezirksliga. In Stade herrscht nach dem völlig unerwarteten Abstieg eine gewisse Schockstarre.
Radtke will jetzt eigentlich aufhören, aber nicht so. Spieler und Trainer setzen sich am nächsten Tag zusammen, wollen den „Betriebsunfall“ sofort korrigieren. Güldenstern startet durch, steigt nach einer überlegenen Saison mit nur einer Niederlage sofort wieder auf. Inzwischen 39 geworden, ist für Mario Radtke der Moment gekommen, mit dem Liga-Fußball endgültig Schluss zu machen. „Von meinen 21 Jahren habe ich 13 Jahre das Güldenstern-Trikot getragen“, blickt der lockere und sympathische Mecklenburger zufrieden und stolz auf diese Zeit zurück. Weil er ohne den heißgeliebten Fußball nicht leben kann, macht er in der TuS Altliga weiter.
Seit der Verschmelzung der Stader Vereine im Juli 2016 spielt er für den VfL Güldenstern, ist zugleich auch Betreuer seiner erfolgreichen Ü32-Kicker, die in der Kreisliga bisher alle Saisonspiele gewonnen haben. 21 Jahre nach dem Verlassen seiner mit ihm auch weiter eng verbundenen Heimatstadt Rostock zieht Mario Radtke ein positives Fazit: „Meine Entscheidung, in die alten Bundesländer zu gehen, war richtig, weil ich mir viele Wünsche erfüllen konnte.“
Von Dieter Albrecht / Mittwochsjournal