INTERVIEW MIT MARCEL BAACK VOM KREIS-SCHIEDSRICHTER-AUSSCHUSS

LANDKREIS. Noch können alle Fußballspiele im Kreis Stade mit Schiedsrichtern besetzt werden – aber nur unter großem Aufwand. Das TAGEBLATT hat mit Marcel Baack, dem stellvertretenden Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses, über die Situation im Landkreis gesprochen.

Von Tim Scholz und Lukas Reineke

Aus einer Stellungnahme des Kreis-Schiedsrichter-Ausschusses geht hervor, dass es einen „massiven Schiedsrichter-Fehlbestand“ gibt. Denn normalerweise muss jeder Verein pro Mannschaft einen Schiedsrichter stellen, viele aber können dieses Soll nicht erfüllen und müssen Geldstrafen zahlen.

TAGEBLATT: Herr Baack, wie ist es um das Schiedsrichter-Wesen im NFV-Kreis Stade bestellt?

Marcel Baack: Es ist nicht so dramatisch, dass alles zusammenbrechen würde. Ein geregelter Spielbetrieb ist immer noch möglich, der wird aber nur aufrechterhalten, weil wir sehr viele Schiedsrichter haben, die mehrfach in der Woche Spiele pfeifen oder notfalls zwei an einem Tag. Diese Vielpfeifer sind unsere wichtigste Säule. Denn insgesamt haben wir zu wenige Schiedsrichter, die eine ausreichende Anzahl an Spielen pfeifen.

In Ihrer Stellungnahme heißt es: „Langfristig gesehen wird dies nicht mehr lange gutgehen, da Schiedsrichter und Ansetzer jede Saison komplett verbrannt werden und an ihrer Belastungsgrenze arbeiten.“ Hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verschärft?

Nicht enorm im Vergleich zur letzten Saison, viel weiter in der Vergangenheit allerdings schon. Letztlich sind wir schon unter die Marke von 200 aktiven Schiedsrichtern gerutscht, von denen gerade einmal 127 die eigentlich viel zu geringe Mindestanforderung von zehn Spielen pro Saison schaffen. Das ist auch für die Ansetzer ein enormer Aufwand. Wir schaffen es aber gerade noch so, die Spiele ab der U 16 zu besetzen und nicht mehr wie vor einigen Jahren ab der U 15. Das wäre kaum möglich.

Welche Vereine stellen denn die wenigsten Schiedsrichter?

Was unter anderem auffällt: Die acht erfolgreichsten Vereine aus dem Kreis weisen, gemessen an ihrer Ligen-Zugehörigkeit und Platzierung im Herren-Bereich, alle einen Schiedsrichter-Fehlbestand auf. Und das sind in der Regel auch die finanzstärksten Vereine, weil denen das anscheinend nicht so wehtut.

Sie sprechen von der Geldstrafe, die fällig wird, sollte ein Verein nicht sein Pflichtsoll an Schiedsrichtern erfüllen?

Ja, genau. Aber ich möchte nicht alle diese acht Vereine über einen Kamm scheren, denn viele von denen machen gute Arbeit. Und man muss auch bedenken, dass diese Vereine viel mehr Mannschaften haben und viel mehr Schiedsrichter stellen müssen. Gemessen an ihren Möglichkeiten durch Größe, Einzugsgebiet, Mitglieder und finanzielle Kraft könnten diese Vereine dennoch viel mehr leisten.

Woran liegt es, dass das Schiedsrichter-Wesen in einigen Vereinen offenbar eine geringere Bedeutung hat?

Dass der aktive Fußball in den Vereinen die größte Bedeutung hat ist logisch. Aber es kann nicht schaden, wenn das Schiedsrichter-Wesen in einigen Vereinen mehr Anerkennung findet, in denen es extra eine Person gibt, die die eigenen Schiris pusht und in denen über das Thema auf deren Social-Media-Kanälen berichtet wird.

Welche Positiv-Beispiel gibt es?

Da gibt es einige Vereine, die nach unserer Auswertung ein Überhang an Schiedsrichtern haben. Ganz vorne dabei sind Oste/Oldendorf, Lühe und Altkloster, die in der vergangenen Saison mit jeweils drei Schiedsrichter über ihrem jeweiligen Soll lagen.

Die Top 3 der Vereine aus dem NFV-Kreis Stade, die in der Saison 2018/19 den größten Überhang (grün) und Fehlbestand (rot) aufwiesen. Oste/Oldendorf etwa musste ein Pflichtsoll von neun Schiedsrichtern erfüllen und stellte drei mehr. Harsefeld, ebenfalls ein Pflichtsoll von neun, stellte keinen Schiedsrichter. Angerechnet werden Schiedsrichter, die bis Saisonende mindestens zehn Spiele gepfiffen und vier Lehrabende besucht haben. Jeder Verein muss Unparteiische stellen für jede zu Punktspielen gemeldete Mannschaft, die in Staffeln mit vom NFV-Kreis angesetzten Schiedsrichtern spielt.

Wie lassen sich denn Schiedsrichter gewinnen?

Die Schiedsrichter-Gewinnung ist gar kein Problem im Kreis. Bei jedem Anwärterlehrgang sind über 20 Teilnehmer dabei. Daher muss man die Vereine loben, weil die genügend Leute schicken. Wir versuchen trotzdem Anreize zu setzen, indem der Lehrgang kostenlos ist und es E-Learning gibt. Die Anwärter lernen die wichtigsten Regeln vor Ort, den Rest erledigen sie von zu Hause. Das ist für die gut, die weite Wege haben oder noch kein Auto fahren dürfen.

Wie viele Schiedsrichter bleiben anschließend dabei?

Pro Saison gibt es über 40 neue Schiedsrichter nach den beiden Lehrgängen. Daher kann man sich fragen, warum wir diese Probleme haben. Wie viele Schiedsrichter über längere Zeit dabei bleiben, erheben wir jedoch nicht. Es gibt aber immer einige, die nach einigen Monaten merken: Das macht keinen Spaß.

Was kann man tun, um sie zu halten?

Wir haben seit letzter Saison mit Schams Golzari jemanden im Ausschuss, der ausschließlich die Ansetzungen der jungen Schiedsrichter koordiniert. Er telefoniert mit den Schiris, ob es Spiele gibt, die sie mit dem Fahrrad erreichen können oder ob deren Eltern sie fahren können. Vorher hatten wir da Probleme: Der Ansetzer hat einen jungen Schiri auf ein Spiel angesetzt, der Schiri aber musste absagen. Jetzt haben wir eine viel bessere Kommunikation, und die Schiris, die pfeifen wollen, fühlen sich besser berücksichtigt.

Was kann man noch tun?

Neu ist das Patenschaftsmodell, das heißt: Ein erfahrener Schiri begleitet Neulinge bei ihren ersten drei Spielen. Gerade das erste Spiel ist immer eine Überwindung. Man weiß nicht genau, wie man am besten mit den Trainern umgeht. Das nimmt einem die Angst. Wir hoffen, dass dadurch mehr Schiedsrichter erhalten bleiben und sich mehr trauen selber zu pfeifen.

Zurück zum Ist-Zustand. Wie viel muss ein Verein zahlen, der sein Soll nicht erfüllt?

Das hängt davon ab, wie hoch die höchstspielende Mannschaft des Vereins spielt. Das sind 125 Euro pro fehlendem Schiedsrichter, wenn die höchste Mannschaft auf Kreisebene spielt, 200 Euro auf Bezirks- und Landesebene und 300 Euro ab der Oberliga. Letzteres würde dann nicht nur den Regionalligisten Drochtersen/Assel betreffen, sondern auch Ahlerstedt/Ottendorf und Oste/Oldendorf, weil deren Frauenteams in der Oberliga spielen.

Sind die Geldstrafen hoch genug?

Nach der Spielordnung in Niedersachsen bewegen wir uns am untersten Rand.

Warum?

Man hat gehofft, dass die Strafen ausreichend sind und die Vereine genug Eigenantrieb bei der Schiedsrichtergewinnung und -Erhaltung haben. Dementsprechend werden die Vereine im Kreis definitiv mit Samthandschuhen angefasst, weil sie finanziell wenig zu befürchten haben.

Andere Kreise bestrafen die Vereine sogar mit Punktabzügen: ein Minuspunkt pro fehlendem Schiedsrichter. Steht das zur Debatte?

Wir haben im Schiedsrichter-Ausschuss gesagt, dass das Thema nicht zur Debatte steht. Das ist Wettbewerbsverzerrung, weil nur der höchstspielenden Mannschaft Punkte abgezogen werden können und damit würden wir die Stader Vereine oberhalb der Kreisebene bestrafen gegenüber Mannschaften aus anderen Kreisen.

Das würde bedeuten, dass zum Beispiel die Landesliga-Mannschaft des TuS Harsefeld mit minus neun Punkten für neun fehlende Schiedsrichter in die neue Saison gestartet wäre.

Ja. Und das wäre ungerecht. Lediglich die höchstspielende Mannschaft leidet darunter, dass der gesamte Verein zu wenig Schiedsrichter hat.

Und wie steht es darum, die Geldstrafen zu erhöhen?

Das wäre zu einfach. Wir wollen eher Anreize für die Vereine schaffen, sich mehr um das Thema zu kümmern. Deshalb haben wir als Schiedsrichter-Ausschuss den Vorschlag in den Vorstand eingebracht, Vereine mit einem Überhang an Schiedsrichtern zu belohnen: Für jeden Schiedsrichter über dem Soll gibt es dann Summe x. Im Gegenzug müssen wir auch an das Strafmaximum gehen, wenn Vereine wiederholt zu wenig Schiedsrichter stellen.

Wie kam der Vorschlag im Vorstand an?

Vor einem halben Jahr haben wir diesen Vorschlag eingebracht und seitdem ist es leider zu keinem Ergebnis gekommen. Das ist enttäuschend. Ich hoffe jedoch, dass wir den Vorstand noch überzeugen können.

Marcel Baack

Zur Person

Marcel Baack (28) aus Kranenburg ist stellvertretender Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses im NFV-Kreis Stade. Zudem ist er als Kreisschiedsrichter-Lehrwart für die Aus- und Fortbildung der Schiedsrichter zuständig. Selbst pfeift Baack, der dem FC Oste/Oldendorf angehört, seit zehn Jahren. „Ich war nicht das größte Talent am Ball, hatte aber trotzdem Interesse am Fußball und fand die Aufgaben eines Schiedsrichters reizvoll“, sagt er. Aktuell leitet Baack Spiele der Herren-Bezirksliga. Er arbeitet bei Beiersdorf in Hamburg.

Quelle/Fotos: Stader Tageblatt

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