Kreisvorsitzender Ulrich Mayntz im Interview
Als der oberste Funktionär des Fußballs im Landkreis Stade, Ulrich Mayntz, am Mittwoch hörte, dass die Bundesliga wieder starten darf, wollte er die Brocken beim Niedersächsischen Fußballverband (NFV) schon hinschmeißen. Zwischen dieser ersten Reaktion und diesem Interview liegen etwa 24 Stunden.
Mayntz hat sich beruhigt, kritisiert die Entscheidung aber weiterhin scharf. Sie sei ein schlechtes Zeichen für den Rest des Sports, der nur unter strengen Auflagen ausgeübt werden kann, und die Gesellschaft. Mayntz’ Motivation würde wahrscheinlich noch weiter schwinden, wenn der NFV am Willen der Mehrheit vorbei die Saison in den Amateurliegen Niedersachsens nicht abbrechen sollte. Darüber sprach er im Interview mit TAGEBLATT-Sportchef Daniel Berlin.
TAGEBLATT: Am Mittwoch kam die Entscheidung, dass die Fußball-Bundesliga weitergehen darf? Hat Sie die Entscheidung überrascht?
Ulrich Mayntz: Überhaupt nicht. Es wird ja seit Wochen über eine Dreiviertelmilliarde Euro an Fernsehgeldern geredet. Und wir wissen im Verband schon seit längerer Zeit, dass die erste bis dritte Liga spielen soll. Aber es gibt die Corona-Fälle in der Bundesliga, es gibt diese Kalou-Aktion in Berlin, die Amateurvereine bekommen die strengsten Reglementierungen. Natürlich darf man die Wirtschaftsunternehmen im großen Fußball und die Amateurclubs nicht vergleichen. Aber es ist einfach ein falsches Zeichen an die vielen kleinen Vereine da draußen. Alle anderen Ligen machen einen Schnitt. Die Handballer in Deutschland, die Basketballer in Amerika. Und die Bundesliga spielt weiter und Manuel Neuer diskutiert über zehn Millionen Euro mehr Gehalt. Zehn Millionen Menschen sind in Kurzarbeit, die Restaurants liegen am Boden, die Hotels können nicht vermieten. Airbus schreit. Und dann reden wir von solchen Sachen. Ich finde, das passt nicht.Aber wie Sie schon sagen: Die Bundesligavereine sind Wirtschaftsunternehmen mit vielen Mitarbeitern, die auch leben wollen. Befürworter sagen, Fußball hat einen gesellschaftlichen Auftrag.Sport hat den gesellschaftlichen Auftrag. Sport. Fußball ist nur ein Teil. Der Sport in Deutschland liegt brach. Seit Mittwoch dürfen wir wieder Tennis spielen. Aber wir dürfen nicht duschen, dürfen kein Doppel spielen, wir dürfen eigentlich gar nichts. Wie passt da Fußball rein?
Das sagt der oberste Funktionär des Fußballs im Landkreis Stade? Der seine eigene Sportart nicht so wichtig nimmt?
Fußball ist wichtig und fehlt mir ja auch. Nicht nur als Vorsitzender des Verbandes, sondern auch als Schiedsrichter. Ich pfeife ein Spiel in der 1. Kreisklasse und schaue dann bei der Landesliga zu, esse eine Bratwurst und trinke ein Bier. Das fehlt. Aber es ist ein falsches Zeichen im bezahlten Fußball. Hätten die Profis alle auf einen Teil ihres Gehaltes verzichtet, hätten sie sich solidarisiert mit den vielen anderen, die Sport treiben wollen, hätte ich gesagt: Das ist das richtige Zeichen. So wären die Profis und die Bundesligaclubs auf die Gesellschaft zugegangen.
Wie sieht es an der Basis aus? Das ist ja schließlich ihr Kerngeschäft.
Es kommen Fragen von den Vereinen, wie sie die neuen Hygieneregeln umsetzen sollen, wie sie die Auflagen erfüllen sollen. Als kleiner Verein. Von Einmalhandschuhen ist da die Rede, Duschen ist verboten, die Spieler müssen beim Training zwei Meter Abstand halten. Wie sollen die denn Fußball spielen? Hier geht es doch aber um Menschen. Und ich sage, entweder alle oder keiner. Kein Vereinsvertreter möchte schließlich dafür verantwortlich sein, wenn in einem kleinen Verein Corona ausbricht. Ich glaube nicht, dass wir in diesem Sommer noch Fußball spielen. Deshalb muss die Saison auch abgebrochen werden. Zumal nach den ganzen Wechseln die Mannschaften im Sommer ja ganz anders aussehen werden. Da kann der Niedersächsische Fußballverband doch nicht die Saison fortsetzen.
Das große Chaos haben wir ja noch vor uns, wenn alle Landesverbände verschieden über Fortsetzung oder Abbruch entscheiden.
Das kommt. Thüringen und Bayern machen weiter. Rheinland, Westfalen, Schleswig-Holstein brechen ab. Niedersachsen und Hamburg ziehen nach.
Warum schaffen es die Landesverbände nicht, das einheitlich zu gestalten?
Weil im föderalistischen System jeder seine eigene Suppe kocht.
Wie ist denn der Status quo im Fußball im Landkreis Stade?
Still ruht der See. Meine Vorstandskollegen und ich kommunizieren über Whats-app und telefonieren. Ich nehme an den Videokonferenzen des Landesverbandes teil.
Warum sträubt sich der Landesverband, eine endgültige Entscheidung zu treffen?
Ich glaube, er ist an Fristen gebunden und der neue Präsident (Günter Distelrath, Anm. d. Red.), der übrigens ein sehr Guter ist, will da keine Fehler machen. Die Entscheidung kann offenbar nur auf einem außerordentlichen Verbandstag getroffen werden. Mit verkürzter Ladungsfrist wäre das dann im Juni.
Das heißt, ein Saisonabbruch ist in der Satzung nicht vorgesehen und sie müsste geändert werden?
Genau. Es muss über die Statuten reglementiert sein. Das wird der Verband machen, hoffe ich.
Das ist doch eine Hängepartie für alle Vereine. Sind die nicht weit weg von jeglicher Planungssicherheit?
Es wird ja auch schon gemeckert. Das kommt auch bei mir als Funktionär an. Die Leute machen sich Luft, weil sie sich fragen, wie der Verband eigentlich mit ihnen umgeht. Aber der Verband kann nicht anders. Er muss sich an seine Statuten halten.
Die Verbandsspitze hat von Anfang an gesagt, dass sie die Fortführung der Saison wünscht. War sie dann überrascht über das gegenteilige Votum der Vereine in Niedersachsen?
Nein. Die wollten die Saison retten mit der Maßgabe, wir spielen, wenn möglich, im Februar weiter. Im Februar ’21. Und das haben sie intern beschlossen. Dass sie damit auf die Nase fallen, müssen sie gewusst haben. Denn wer stimmt denn für ein Weiterspielen? Die letzten Drei und die ersten Drei. Dem Rest ist es egal. Wir haben derzeit eine einmalige Situation im Sport, in der Gesellschaft. Nochmal: Wir werden verknackt, wenn wir mit Nachbarn auf der Terrasse feiern. Und die Bundesliga soll Fußball spielen. Das passt doch nicht. Ich muss übrigens trennen zwischen dem Privatmann Mayntz und dem Funktionär. Das hier ist die Meinung des Privatmannes.
Der Landesverband hat jetzt das Meinungsbild der Vereine. 68 Prozent der Vereine sind für den Abbruch. Trotzdem steht in den Verlautbarungen, dass noch Gesprächs- und Diskussionsbedarf besteht. Warum?
Es gibt im Vorstand Hardliner, die weiterspielen möchten. Die kommen dann mit dem Argument, dass sich 1000 Vereine gar nicht an der Umfrage beteiligt haben, also ein Drittel.
Wovor hat der Landesverband denn Angst? Vor Klagen?
Ja.
Aber wer beklagt denn wen? Wer hat ein Motiv im Kreis?
Keiner. Kann ich mir nicht vorstellen. Aber es wäre für eine Mannschaft wie den ASC Cranz-Estebrügge natürlich hart, wenn sie jetzt wieder nicht den Aufstieg in die Landesliga schaffen. Wenn wir höher schauen, vielleicht der VfB Lübeck, der als Spitzenreiter der Regionalliga auf dem Sprung ins richtige Geschäft ist. Am besten, wir brechen ab, nehmen die Quotientenregelung wie im Handball, lassen nicht absteigen, lassen aufsteigen, neue Staffeleinteilung mit Aufstockung nächste Saison und gut. Wie mit den Pokalwettbewerben umgegangen wird, muss auch noch geregelt werden.
In ihrer ersten Wut über die Fortsetzung der Bundesliga wollten sie am Mittwoch die Brocken hinwerfen. Wie sieht ihr Gemütszustand heute aus?
Ich habe mich beruhigt, aber ich verstehe es nicht und bin hin- und hergerissen zwischen der Privatperson, Ulrich Mayntz, der Mitglied beim 1. FC Köln ist, und dem Funktionär Mayntz. Ich hinterfrage mein Amt aufgrund der jüngsten Entwicklungen. Aber davon mal ab. Wenn der Landesverband die mehrheitliche Meinung an der Basis nicht akzeptiert, bin ich falsch hier.
Quelle: FuPa /Stader Tageblatt